Folgekosten des Kohleausstiegs Wie ein tschechischer Selfmade-Milliardär die deutsche Politik vorführt Als Investor Daniel Kretínský Ostdeutschlands Braunkohle kaufte, gab er sich als Retter. Doch die Lausitz verkommt zum Milliardengrab - die Folgekosten könnten am Ende die Steuerzahler treffen.

Von Susanne Götze und Annika Joeres

29.06.2021, 13.37 Uhr

Die Braunkohletagebaue in der Lausitz sollen irgendwann wieder zu blühenden Landschaften werden
Foto: Patrick Pleul/ dpa

An der ehemaligen Tagebaukante Lakoma plätschert Wasser aus einem schmalen Kanal in eine überdimensionale Sandgrube. Martin Kühne, 71, steht auf einer Aussichtsplattform und blickt auf die Mondlandschaft des ehemaligen Tagebaus Cottbus-Nord: "19 Quadratkilometer Prärie, da können Sie weit reiten", sagt er und lächelt verschmitzt. Bevor die Schaufelbagger kamen, war hier das Dorf Lakoma - es wurde 2006 weggebaggert.

Links neben der Grube steigen am Horizont die Wasserdampfsäulen des Kohlekraftkwerks Jänschwalde in den Himmel. Es hat die gesamte Landschaft verschlungen. Nun soll aus der Sandwüste ein See werden. Die Uferpromenade gibt es schon: Besucher stehen auf eingezäunten Betonplatten, Schilder warnen vor Lebensgefahr. "Da hinten sehen Sie den Strand." Kühne zeigt auf einen hellen Streifen am Horizont. "Der Ostsee-Strand."

"Ob man dann wirklich darin baden kann, ist noch völlig offen."
Martin Kühne, Stadtverordneter in Cottbus

Nur fünf Kilometer nordöstlich von Cottbus soll einer der größten künstlichen Seen Deutschlands entstehen. Aber wegen Wassermangels ist er bislang nicht viel größer als eine Pfütze. "Hier wird den Leuten vorgegaukelt, dass alles nach Plan läuft", sagt Kühne, der in Cottbus Stadtverordneter der Grünen ist. Durch die Dürrejahre hätte der Betreiber große Mühe, die nötigen Wassermengen zusammenzubekommen.

Bisher ist nur ein kleiner Teil des Cottbuser "Ostsees" geflutet
Foto: Sven Döring / Agentur Focus / DER SPIEGEL

"Vor 2030 wird der See nicht voll sein, und ob man dann wirklich darin baden kann, ist noch völlig offen", meint Kühne. Der Ostsee ist nicht das einzige Kohleerbe in der Region: Insgesamt über 30 Tagebaulöcher sollen zu Gewässern werden oder sind es schon.

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Der See, der sich nicht füllt, die triste Prärie: Die Braunkohle hat kurz vor ihrem Ende tiefe Spuren gegraben. Dabei ist spätestens seit dem Pariser Weltklimaabkommen von 2015 klar: Der Kohleausstieg kommt. Außer China und Indien investiert kaum noch ein Staat in den klimaschädlichen Rohstoff. Doch es gibt Investoren, die mit siechenden Industrien Geschäfte machen. Einer wie Daniel Kretínský, schillernder Selfmade-Milliardär und Vorsitzender des tschechischen EPH-Konzerns, der erst seit einigen Jahren das Lausitzer Kohleunternehmen Leag und die mitteldeutsche Mibrag besitzt.

Auf Steuerzahler könnten Milliardenausgaben zukommen

Die Braunkohle ist keine Energie wie jede andere. An jeder Kilowattstunde Kohlestrom hängen hohe ökologische Folgekosten. Den bröseligen Brennstoff schaufeln die Bagger relativ dicht unter der Erdoberfläche ab, deshalb entstehen auch Tagebaue und keine Gruben wie bei der Steinkohle. Die Stromverbraucher in Leipzig, Berlin oder Dresden merken davon nicht viel. Doch damit sie Licht haben und ihr Handy aufladen können, werden aus Wäldern, Mooren, Wiesen und Dörfern schwermetallbelastete Sandgruben. Die müssen nach der Nutzung geschlossen und wieder zu einem Ökosystem werden. Das nennen Fachleute Renaturierung, sie kostet Milliarden. Zu ihr ist laut Bundesberggesetz jedes Unternehmen verpflichtet, das in Deutschland eine Grube gräbt und nach Bodenschätzen sucht.

"Die Leag ist im Bereich der Braunkohle klinisch tot."
Felix Matthes, Energieexperte des Öko-Instituts

Aber bei der Leag und der Mibrag müssen womöglich die Steuerzahler und nicht die Betreiber die jahrzehntelange Renaturierung begleichen. Nach monatelangen Recherchen von SPIEGEL und "Correctiv" liegt der Verdacht nahe, dass die Allgemeinheit die Folgekosten für die zerstörten Landschaften tragen muss. Aus internen Unterlagen sowie Berichten von Insidern geht hervor, dass die Landesregierungen in Sachsen und Brandenburg alles taten, um einen Investor zufriedenzustellen. Mit dem Ergebnis, dass Bürgerinnen und Bürger möglicherweise bis ins nächste Jahrhundert hinein für haltlose Uferböschungen, für sinkende Böden, instabile Gebäude, Wassermangel und verunreinigtes Trinkwasser geradestehen müssen.

Lausitz: Der Tagebau frisst sich durch die Landschaft
Foto: Patrick Pleul / dpa

"Die Regierungen wollten einen Investor und haben ihm alles Mögliche versprochen", sagt eine Informantin aus dem brandenburgischen Finanzministerium.

Andere Insider sprechen davon, dass K?etínský die Landespolitiker quasi erpresst habe: mit dem Verlust von Arbeitsplätzen und dem Niedergang des über 100 Jahre alten Kohlegeschäfts der Region. Garantien vonseiten des Investors hat die Politik jedenfalls nicht eingefordert. Das beweisen Dokumente und Aussagen hoher Beamter und der Regierung selbst.

Braunkohle ist "klinisch tot"

Investor Kretínský selbst sagt gegenüber dem SPIEGEL: "Als Anteilseigner können wir keine Garantie für die Rekultivierung übernehmen." Derzeit sei genug Geld da, so Kretínský - obwohl das vom SPIEGEL und "Correctiv" befragte Experten bezweifeln.

Niemand weiß heute - oder will wissen -, wie viel die Renaturierung der Tagebaulöcher und die Folgen für den Wasserhaushalt der Region kosten wird. Das Land Brandenburg geht von rund drei Milliarden Euro für das gesamte Lausitzer Revier aus, Greenpeace hingegen von zehn Milliarden Euro. Und mit jedem Jahr, in dem die Kohle in den noch aktiven Tagebauen abgebaggert wird, steigen die Kosten.

"Je mehr wir beschnitten werden in unserer Entwicklung, desto mehr müssen wir auch die Zukunft der Region beschneiden." Mit anderen Worten: Für die milliardenschwere Renaturierung könnte die Allgemeinheit zahlen, droht der EPH-Chef. Vor allem, wenn der Kohleausstieg noch früher kommt, als derzeit vorgesehen. Doch das könnte nicht nur durch einen früheren Kohleausstieg passieren - sondern durch den Wertverfall des Unternehmens selbst.

Denn der Kohle geht es schlecht. Sollten die Kohleunternehmen insolvent werden, könnten sich die Betreiber komplett von der Verantwortung verabschieden. "Die Leag ist im Bereich der Braunkohle klinisch tot", erklärt Felix Matthes, Energieexperte des Öko-Instituts. Die Erträge am Strommarkt minus dem hohen CO2-Preis für die europäischen Emissionsrechte, die Kohlekonzerne kaufen müssen, ergäben ein klares Verlustgeschäft. "Da bleibt nichts mehr übrig", so Matthes. Tatsächlich habe die Leag in einem internen Newsletter vor wenigen Wochen geschrieben, dass sich die Kohleverstromung aktuell kaum lohne, erinnert sich ein Gewerkschafter, der nicht genannt werden will. Man spüre, dass sich der Kohlebetrieb "im Endstadium" befinde.

Leerer Ostsee: Eigentlich sollte hier schon Wasser sein aber die Dürre der vergangenen Jahre verzögerte die schnelle Flutung des Sees.
Foto: Sven Döring / Agentur Focus / DER SPIEGEL
Mondlandschaft des ehemaligen Tagebaus und am Horizont das Kraftwerk Jänschwalde
Foto: Sven Döring / Agentur Focus / DER SPIEGEL Das Betreten des Geländes ist nicht erlaubt – hier sollen später Hotels und Gaststätten gebaut werden.
Foto: Sven Döring / Agentur Focus / DER SPIEGEL
Einzige Zulaufstelle des Sees: Hier fließt weniger Frischwasser ein, als ursprünglich geplant war. Auch diesen Sommer könnte es wieder zu Wasserknappheit kommen.
Foto: Sven Döring / Agentur Focus / DER SPIEGEL

Kretínský selbst schiebt der Regierung die Verantwortung für eine mögliche Insolvenz zu. "Die Leag könnte auch bankrottgehen durch politische Entscheidungen." Aber aktuell sei sie angeblich "weit davon weg".

Hat sich die Landesregierung über den Tisch ziehen lassen? Kretínský hatte 2009 die Mitteldeutsche Braunkohlegesellschaft (Mibrag) erworben und 2016 dem schwedischen Konzern Vattenfall die Tagebaugruben und Kraftwerke in der Lausitz abgekauft. Aus Letzterem entstand die Leag - die gemeinsame Marke der Lausitz Energie Bergbau- und Kraftwerke AG. Bei den Deals wurde auch verhandelt, inwieweit der Investor für die Ewigkeitskosten der Tagebaugruben aufkommen muss. Und offenbar hat K?etínský das für ihn bestmögliche Ergebnis erzielt: Insidern zufolge fehlt bis heute eine klare Regelung, eine sogenannte Patronatserklärung, dass der Mutterkonzern im Fall einer Insolvenz der beiden Kohlefirmen für die Renaturierung der Natur aufkommen muss.

Das Wirtschaftsministerium Brandenburg erklärt dazu, die "Lausitz Energie Bergbau AG" habe statt einer Patronatserklärung eine "Bankbürgschaft in Höhe von 138 Millionen Euro zur Erfüllung ihrer bergrechtlichen Pflichten für die Tagebaue Jänschwalde und Welzow-Süd" eingereicht.

Was die Landesregierung nicht sagt: Es ist die bisher einzige Bürgschaft, die jemals von dem Unternehmen gegenüber Brandenburg gegeben wurde - und erst Jahre nach Abschluss des Kaufvertrags. Vor allem aber decken die 138 Millionen Euro nicht einmal fünf Prozent der von der Landesregierung geschätzten Gesamtkosten der Lausitzer Renaturierung.

Insiderin: An die Ewigkeitskosten wollte niemand denken

Eine Beamtin im brandenburgischen Finanzministerium kann sich noch gut erinnern, wie über den tschechischen Investor während der Verhandlungen in der ebenfalls an den Gesprächen beteiligten sächsischen CDU-Landesregierung von Stanislaw Tillich Anfang 2016 gesprochen wurde: "Das war der Heilsbringer, der unbedingt zusagen sollte. An alles andere, vor allem an die späteren Ewigkeitskosten, wollte niemand denken." Schließlich wurde EPH mit dem Kauf über Nacht der größte Arbeitgeber der Lausitz. Die rund 8000 Arbeitsplätze waren plötzlich wichtiger als die Verantwortung des Unternehmens.

Auch persönliche Gründe von Tillich hätten eine Rolle gespielt: Er kommt aus der Lausitz und habe die Jobs der Kohlekumpel um jeden Preis erhalten wollen. Tillich wurde im Herbst 2019 Aufsichtsratsvorsitzender der Mibrag - wenige Monate nach Abschluss der Kohlekommission, deren Co-Vorsitzender Tillich war und die der Bundesregierung einen späten Kohleausstieg empfahl. Die EPH fand offenbar, er habe einen hochrangigen Job in der Kohlebranche verdient.

Wie sehr die Landespolitiker den tschechischen Investor hofierten, zeigt sich auch rund um den Zeitpunkt der Kaufverhandlungen. Am 9. September 2016 empfängt Sachsens Ministerpräsident Tillich den EPH-Vorstand Jan Špring. Es soll um Pläne für die Zeit nach einer künftigen Stilllegung gegangen sein. Erst auf Anfrage von SPIEGEL und "Correctiv" schickte die Regierungsbehörde das zweiseitige Protokoll des Treffens zu. Demnach merkte Tillich an, dass die "Erfüllung der Renaturierungsverpflichtungen gegenwärtig ein Thema in der politischen Landschaft sei". Laut Protokoll "nimmt EPH dies zur Kenntnis". Damit war die Diskussion beendet, wie aus dem zweiseitigen Protokoll dieses Treffens hervorgeht.

Tillich verteidigt heute den Ausgang der Verhandlungen. Durch die Kohleausstiegsbeschlüsse sei "einseitig die Vereinbarung beendet worden, die Kohleverstromung durch politisches Handeln zu fördern". Dass er für seinen persönlichen Vorteil im Interesse des EPH-Konzerns verhandelt habe, bestreitet der Christdemokrat. "Für mich war und ist es selbstverständlich, auf die deutlich schwierigeren wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen hinzuweisen und umfassendere Hilfen im Lausitzer und mitteldeutschen Revier einzufordern", so Tillich. Anderweitige Vorwürfe seien falsch.

Insider hingegen schildern, dass Kretínský der einzig ernsthafte Interessent war und der Landesregierung damit die Bedingungen diktieren konnte. Er habe die verzweifelte Lage ausgenutzt.

Interner Bericht: "Ausfallrisiken extrem gestiegen"

Erst ein Sonderbericht des Sächsischen Rechnungshofs zu den Risiken der Braunkohle von 2017 schreckte die Regierungen auf. "Da wurde es selbst hohen Beamten zu heiß", berichtet ein Informant aus dem sächsischen Umweltministerium, der anonym bleiben möchte. Der Bericht ist bis heute unter Verschluss. Anfragen von SPIEGEL und "Correctiv" auf Einsicht wurden auch drei Jahre nach Erscheinen des Berichts abgelehnt. Der Rechnungshof riet sogar in einem Telefonat dazu, die Anfrage zurückzuziehen. Der Grund: Die Kommunikation mit den Unternehmen sei extrem langwierig und kompliziert.

Laut Informanten, die den Bericht unter "Beobachtung" und einer Verschwiegenheitserklärung einsehen konnten, steht dort: Das Ausfallrisiko sei mit der Übernahme von Leag und Mibrag durch EPH extrem gestiegen.

"Derzeit reichen die liquidierbaren Vermögenswerte des Leag-Konzerns nicht aus, um alle Renaturierungsverpflichtungen zu erfüllen."
Wolfgang Irrek, Energiewirtschaftler der Universität Ruhr West

Das war selbst den Landesregierungen in Sachsen und Brandenburg zu heikel. Nach dem geheimen Sonderbericht gründeten sie sogenannte Zweckgesellschaften, um sich zumindest etwas abzusichern. Auf deren Konten sollen nun die Gelder der Leag für die Renaturierung fließen.

Doch auch hier sind die entscheidenden Unterlagen wieder geheim: Weder ist öffentlich wann, noch wie viel Geld in welchen Raten die Leag dort einzahlen muss. Unter dem Vorwand des Betriebsgeheimnisses bleiben so die zentralen Dokumente für die Öffentlichkeit nicht einsehbar. Im Jahr 2019 verkündete die Brandenburger Landesregierung, dass die Leag bereits zum Jahresende zehn Millionen Euro einzahlen werde. Auch in Sachsen zahlte die Leag eine ähnlich hohe Summe ein. Angesichts von mehreren Milliarden Euro Renaturierungskosten sind das allerdings nur "Peanuts". Auf die Frage, ob die Landesregierung schlecht verhandelt habe, antwortet die Staatskanzlei heute: "In geeigneter Art und Weise werden die entsprechenden Absicherungen regelmäßig bei Erfordernis angepasst." Wann und wie das geschieht, ist ebenfalls intransparent.

Im Fall einer Insolvenz des Unternehmens bleiben aber nur diese Zweckgesellschaften und einzelne Sicherheitsleistungen für ausgewählte Tagebaue. Das Risiko trägt der Steuerzahler. "Die EPH wird keinen einzigen Cent mehr auf dieses Konto überweisen, wenn sie keinen Gewinn mehr erwirtschaften wird", so der Informant aus dem sächsischen Umweltministerium.

Für den SPIEGEL und "Correctiv" haben Energieökonomen der Hochschule Ruhr West die Bilanzen der Leag analysiert. Ihr Fazit: "Derzeit reichen die liquidierbaren Vermögenswerte des Leag-Konzerns nicht aus, um alle Renaturierungsverpflichtungen zu erfüllen", meint Studienautor Wolfgang Irrek.

Offenbar glauben mittlerweile sowohl Landes- als auch Bundesregierung nicht mehr an die Renaturierung durch den Investor. Dafür spricht die kürzliche Entscheidung, die Entschädigung für die politisch verordnete Stilllegung der Kraftwerke bis 2038 für die Renaturierung zu verwenden. Für die Leag sind dies 1,75 Milliarden Euro. Die Entschädigung solle vollständig für die Erfüllung der Tagebaufolgekosten verwendet werden, so die Staatskanzlei Sachsen.

Doch auch das dürfte kaum reichen, wenn Brandenburg von mindestens drei Milliarden ausgeht.

Gefahr für Trinkwasser in Berlin und Brandenburg

Wie kompliziert und teuer die Renaturierung ist, wissen Experten heute ganz genau: Immer wieder müssen Seen gesperrt werden, weil Uferböschungen abrutschen, manche Hügel aus dem Abraum, also dem Abfall der Kohleflöze, sickern meterweise nach unten, in viele der Seen hat das Wasser Mangan und Schwefel gespült, sie sind versauert. Seit 1990 schon renaturieren die Angestellten der "Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft" (LMBV) alte DDR-Tagebauen. Dachten sie anfangs noch, ihr Job sei 2020 erledigt, plant die LMBV inzwischen bis mindestens 2050 zu arbeiten.

Martin Kühne, Stadtverordneter der Grünen in Cottbus, ist seit Jahrzehnten Kritiker der Braunkohlepolitik der Region
Foto: Sven Döring / Agentur Focus / DER SPIEGEL

Rund 3600 Menschen - Ingenieure, Sprengbrigaden, Abrissexperten, Kranführer - sind damit beschäftigt, die zerstörten Landschaften wieder zu Äckern, Wäldern und Seen umzuwandeln. Sollte die Renaturierung für Leag und Mibrag ähnlich lange dauern, müsste das Geld bis mindestens zum Ende des Jahrhunderts reichen. Denn schließlich geht es hier um Wasser in einer Region, die auch diesen Sommer wieder extrem trocken ist. Auch die Spree und damit das Trinkwasser für Berlin und Umgebung ist gefährdet, befürchtet die Umweltorganisation BUND.

Mit der Klimakrise drohen die Kosten noch höher zu steigen. Die ehemaligen Tagebaulöcher werden allesamt mit Fluss- und Grundwasser gefüllt. Das ist der billigste Weg für die Konzerne, wieder eine naturnahe Landschaft zu schaffen. Doch durch die Seen entstehen riesige Verdunstungsflächen, das Wasser könnte längerfristig noch knapper werden. Auch diesen Sommer ist die Spree wieder von Niedrigwasser bedroht und kann angrenzende Gewässer, wie den zu füllenden Ostsee deshalb nicht bedienen.

Ein Wind- und Solarpark als Feigenblatt

Dass die Kohle bald ausgedient hat, ist auch dem Investor Kretínský klar. Erste Solar- und Windparks sind am Netz, und er hat bereits eine Leag-Tochter gegründet, die die grüne Zukunft des Unternehmens entwerfen soll: Die EP New Energies (EPNE) plant Solar- und Windparkprojekte. "Dieses Investment wird Gewinne abwerfen, die die Bedürfnisse der Renaturierung erfüllen werden", sagt Kretínský.

Sollten alle bisher geplanten Projekte in den nächsten Jahren ans Netz gehen, macht die "Erneuerbaren-Sparte" des Braunkohleriesen trotzdem nur einen geringen Anteil aus: Rund ein Prozent des erzeugten Stroms wäre dann Ökostrom, der Rest weiterhin Braunkohlestrom - bis diese Sparte möglicherweise insolvent wird. Sollte das Geschäft mit der Braunkohle irgendwann am Ende sein, dann wäre Kretínský die lästige Renaturierung los und hätte trotzdem ein lukratives Standbein in der Lausitz. Er könnte weiter den Retter der Lausitz spielen, während die Bürgerinnen und Bürger für seine Mondlandschaften zahlen. Statt auf ein rauchendes Kraftwerk fiele dann der Blick von der Tagebaukante auf seine Wind- und Solarparks.

Diese Recherche entstand in Kooperation des SPIEGEL mit dem Recherchezentrum "Correctiv". Mehr zu "Correctiv" auf correctiv.org


Quelle: spiegel.de vom 29.06.2021